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Optimierung künstlicher Gelenke erstmals durch Roboter gestützte Tests und Computersimulation

11. January 2012

Über 400.000 Menschen erhalten in Deutschland jährlich ein neues Hüft- oder Kniegelenk. Doch nach der Operation kommt es in einzelnen Fällen zu Luxationen (Ausrenkungen) oder zu Infektionen der Hüftendoprothese.

Auch mit einem neuen Kniegelenk sind Patienten nicht immer zufrieden, weil sie nach der Operation unklare Schmerzen haben. Prof. Dr. Rainer Bader vom Forschungslabor für Biomechanik und Implantattechnologie der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Rostock und Prof. Dr. Christoph Woernle vom Lehrstuhl für Technische Mechanik und Dynamik der Universität Rostock haben mit ihrem zehnköpfigen Forscherteam einen für Deutschland bislang einmaligen Forschungsansatz entwickelt.

 

Der Rostocker Forschungsansatz beruht auf einer Kopplung von Roboter gestützten Testverfahren für künstliche Gelenke und Computersimulationen. Mit Hilfe von Robotern können aufwendige Tests an neuen Generationen künstlicher Gelenke durchgeführt werden, um mittelfristig durch optimierte Implantat-Designs mögliche Instabilitäten und Abnutzungsprozesse im künstlichen Gelenk zu verhindern bzw. zu verzögern. Das Verhalten von künstlichen Gelenken (Endoprothesen) und Knochenimplantaten im menschlichen Körper wird vor der klinischen Verwendung im Vorfeld zunehmend virtuell, also an Computermodellen, getestet. Die Kombination aus Roboter gestütztem Testverfahren und Computersimulation für Implantate gibt es bislang nicht. Deshalb stößt diese Forschung auch international auf großes Interesse.

„Die technische Herausforderung besteht darin, eine reale Endoprothese virtuell in die Computersimulation mit kontinuierlicher Datenrückführung einzubinden“, sagt Prof. Bader. Mit der so genannten Hardware-in-the-Loop Simulation können die Forscher sehen, wie sich künstliche Gelenke im Körper unter verschiedenen Belastungen und Randbedingungen mit Berücksichtigung der Muskulatur und des Kapsel-Bandapparates verhalten. Dazu wird die Endoprothese mit einem Roboter nach Vorgaben des Simulationsrechners bewegt und belastet. Der Roboter erfasst die tatsächlich entstehenden Bewegungen und auftretende Kräfte. Weil die Messungen in den virtuellen Menschen zurückgespeist werden, kommt es zu ständigen und gegenseitigen Wechselwirkungen mit der im Roboter befestigten realen Endoprothese und dem virtuellen Patienten.

„Wir nutzen bei unseren Tests mit dem virtuellen Menschen reale Prothesen“, sagt Professor Christoph Woernle. Roboter und Simulationsrechner sind über einen Datenaustausch miteinander verbunden. So lässt sich genau erkennen, wie die Endoprothese sich im menschlichen Körper verhalten würde. Der Computer liefert den Daten zu Bewegungen und Belastungen des Implantats im Körper.

Die Rostocker Forscher haben dazu eine Kooperation mit einem Forschungsinstitut in San Diego (USA) und einem Institut an der Technischen Universität in München aufgebaut. Aus den USA erhalten die Forscher reale Bewegungs- und Belastungsdaten von künstlichen Gelenken, aus München mathematische Beschreibungen über das Verhalten von Muskeln, Sehnen und Bändern beim Patienten. Der virtuelle Patient wird beispielsweise mit konkreten Daten wie Körpergröße und Gewicht bestückt. So lässt sich die ideale und Patienten gerechte Beschaffenheit eines Implantats errechnen.

Für die Rostocker Forscher stehen zwei wesentliche numerische Simulationsverfahren zur Verfügung: die Finite-Elemente-Analyse und die Mehrkörpersimulation. „Deren praktische Anwendung im Klinikalltag steckt allerdings noch in den Kinderschuhen. Das ist ein relativ neues Gebiet, diese Art von Forschung direkt mit der klinischen Anwendung zu verbinden“, erklärt Professor Bader, der selbst Humanmediziner und Diplom-Ingenieur ist. Virtuelle Simulationen werden in der klinischen Praxis bis jetzt vor allem bei der Schadens- und Fehleranalyse eingesetzt. Wenn es etwa bei einem Patienten zu Beschwerden mit der Endoprothese kommt, kann das Problem per Computer zusammen mit den Patientendaten analysiert werden. Für Bader nur der Anfang: Das Rostocker Forscherteam möchte den virtuellen Patienten weiterentwickeln und sich nach Abschluss seiner Forschung zu Hüft- und Knieimplantaten den Problemen an Bandscheibe und Wirbelsäule widmen.

„Das Forschungsvorhaben benötigt einen bestimmten Zeithorizont“, sagt Prof. Bader. Er ist daher froh, dass die bislang im Projekt geschaffenen Testmöglichkeiten der realen Situation des Patienten sehr nahe kommen. „Genauigkeit und Validität sind nun mal oberste Prinzipien für eine fundierte Forschung“. In einem Jahr sollen erste klinisch verwertbare Ergebnisse vorliegen.