Aktuelles

Und plötzlich ist das Zittern weg

10. April 2017

Neurologe Dr. Mathias Löhle (v.l.), Neurochirurg Dr. Thomas Kriesen und Neurologe Dr. René Reese haben dem Patienten Horst Schürmann mit der Tiefen Hirnstimulation Hoffnung gegeben.

Interdisziplinäres Ärzteteam der Unimedizin Rostock gibt Tremor-Patienten mit Tiefer Hirnstimulation Lebensqualität zurück

Was für die meisten Menschen selbstverständlich ist, war für Horst Schürmann bis vor Kurzem noch undenkbar. Eine Tasse halten, telefonieren, unterschreiben, fotografieren - ausgeschlossen. Seit mehreren Jahren leidet der 77-Jährige an essentiellem Tremor. Die neurologische Bewegungsstörung sorgt dafür, dass seine Hände bei Bewegung unkontrolliert zittern. „Vor etwa fünf Jahren habe ich es bewusst bemerkt“, erinnert sich Schürmann. Seitdem sei es schlimmer geworden. „Ich konnte am Ende nicht einmal mehr einen Suppenlöffel zum Mund führen, so ging ich zum Neurologen“, sagt er. Zwölf Medikamente probierte er aus, um das Schütteln in den Händen in den Griff zu bekommen. Ohne Erfolg. 

„Als nichts mehr half, entschied ich mich nach Gesprächen mit meinen Ärzten zu einer OP mit Tiefer Hirnstimulation“, erzählt Schürmann. So wurde er einer der ersten Patienten an der Unimedizin Rostock, die einen Neurostimulator implantiert bekamen. Neurochirurgen, Neurologen, Anästhesisten und Radiologen bilden dafür ein interdisziplinäres Team. „In einer knapp achtstündigen OP haben wir dem Patienten zwei dünne isolierte Kabel, an deren Ende sich je vier Kontaktpole befinden, in den für das Zittern verantwortlichen Bereich im Gehirn eingesetzt“, erklärt Neurochirurg Dr. Thomas Kriesen. Anhand von MRT- und CT-Schnittbildern des Gehirns hatten die Ärzte die Platzierung der Elektroden vor der OP millimetergenau geplant.

Unter der Operation war Horst Schürmann ganze 90 Minuten wach. „Mit Testelektroden prüften wir Wirkung und mögliche Nebenwirkungen der elektrischen Stimulation“, erklärt Neurologe Dr. Matthias Löhle. Mit Kollege Dr. René Reese ließ er den 77-Jährigen Bewegungs- und Sprechübungen absolvieren, etwa die Zeigefinger zusammenführen oder die Wochentage aufsagen. „So erkennen wir sofort, ob wir das Zielgebiet noch mal leicht verändern müssen“, so Reese. Sitzen die Elektroden an der richtigen Stelle, werden sie mit dem eigentlichen Neurostimulator verbunden. Er wird auf der Brust unter die Haut implantiert und versorgt die Elektroden mit Strom. „Ein Kabel, das von den Elektroden hinter dem Ohr entlang führt, verbindet die Elektroden mit dem Neurostimulator“, erklärt Löhle. Die Batterie des Geräts hält vier bis fünf Jahre; die Stimulations-Einstellungen werden einige Tage nach der OP für jeden Patienten angepasst. Manchmal muss im Abstand von einigen Wochen in der Sprechstunde nachjustiert werden.

Auch wenn der Eingriff für Schürmann mit erheblichen körperlichen Strapazen verbunden war - sein Kopf war die gesamte Zeit in einem Ring fixiert, der dem Operateur beim Planen und Navigieren hilft -, ist er froh, den Schritt gewagt zu haben. Das Zittern ist so gut wie verschwunden. „Ich habe ein großes Stück Lebensqualität wiedergewonnen und kann sogar wieder mit der Gabel essen“, lobt er das Ergebnis. Eine Heilung stelle der Eingriff für den 77-Jährigen nicht dar, betont Löhle, aber die Symptome konnten anhaltend deutlich verringert werden.

Neben dem essentiellen Tremor wird die Tiefe Hirnstimulation in Rostock auch bei Patienten mit Parkinson und Dystonien, neurologischen Bewegungsstörungen, angewendet. Das interdisziplinäre Team plant in diesem Jahr, zwölf Patienten mit der Methode zu operieren. Es gibt schon eine Warteliste.