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Verbrechen sind nicht immer das, wonach sie im ersten Augenblick aussehen

03. March 2021
Prof. Dr. Fred Zack am Mikroskop

Professor Fred Zack hat federführend die viel beachtete Studie erarbeitet. (Bildquelle: Universität Rostock)

Rechtsmediziner wertet 270 Gutachten aus

Straftaten sind nicht immer das, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Was sich zu Beginn der Ermittlungen manchmal als glasklar darstellt, verändert mitunter sein Bild, wenn man die Perspektive wechselt und akribisch untersucht, warum mutmaßliche Täterinnen oder Täter eine schwere Straftat begangen haben. Rechtsmediziner und Studenten  der Universität Rostock um Professor Fred Zack haben dazu in einer Studie über körperliche Untersuchungen zwischen 2006 bis 2018 in den Landgerichtsbezirken Rostock und Schwerin 270 Gutachten ausgewertet. Die Straftäter waren überwiegend im Alter zwischen 18 und 40 Jahren und standen im Verdacht, bevorzugt Straftaten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung oder gefährliche Körperverletzung begangen zu haben. Eine vergleichbare Studie mit deutlich weniger Fallzahlen hat es zuletzt in Deutschland vor knapp 50 Jahren in Hamburg gegeben.

Die Gutachten über körperliche Untersuchungen, die Professor Zack und Doktorandin Svenja Bernhardt ausgewertet haben, erfolgten im Auftrag der Staatsanwaltschaften oder Kriminalpolizeiinspektionen. Jetzt liegen Daten auf dem Tisch, die zeigen, dass sich derartige Untersuchungen zur Aufklärung von Straftaten und zur Unterstützung der Rechtssicherheit lohnen. „Insbesondere in Strafsachen, bei denen Aussage gegen Aussage steht und es keine Zeugen gibt, helfen diese Untersuchungen den Richterinnen und Richtern bei der Urteilsfindung“, sagt Zack. „Ich mag die Fälle, bei denen wir sowohl das Opfer als auch den mutmaßlichen Täter untersucht haben. Bei einer solchen Konstellation sind die genauesten gutachterlichen Aussagen möglich. Leider werden im Vergleich zu Opferuntersuchungen die Beschuldigten deutlich seltener begutachtet“, ergänzt er.

„Die Fachzeitschriften sind voll mit Studien über Opferuntersuchungen“, betont der Rostocker Rechtsmediziner. „Aber nicht mit  Ergebnissen über Untersuchungen von Tätern“. Da klaffe eine wissenschaftliche Lücke. Die hat die Rostocker Rechtsmedizin jetzt mit ihrer jüngsten Studie etwas geschlossen.

Fast jede zweite Untersuchung habe aus rechtsmedizinischer Sicht Befunde ergeben, die den mutmaßlichen Täter belasteten, resümiert Fred Zack. „Aber es gibt auch Menschen, die einer schweren Straftat zu Unrecht bezichtigt werden“, ergänzt der 61-jährige Rechtsmediziner, der sich seit über 30 Jahren deutschlandweit als Spezialist und Forscher mit Themen wie u.a. zum plötzlichen Herztod, Tod durch Blitzschlag bzw. zu Fehlern im Zusammenhang mit der ärztlichen Leichenschau einen Namen in der Fachwelt gemacht hat. Und jetzt mit gerade erst veröffentlichten Erkenntnissen zu mutmaßlichen Tätern. 

Die Ergebnisse der Studie fasst er so zusammen: „Eine Lehre aus der neu vorgelegten Arbeit ist es, dass rechtsmedizinische Untersuchungen des Opfers und des Täters für die Rekonstruktion von schweren Straftaten wertvoller als die nicht selten zu beobachtende Untersuchung einer geschädigten Person allein sind. Daher wünsche ich mir für die Zukunft eine Zunahme der körperlichen Untersuchungen von Beschuldigten schwerer Straftaten, insbesondere wenn absehbar ist, dass es keine Zeugen gab oder es im Strafprozess die Konstellation „Aussage gegen Aussage“ geben wird.“

Text: Wolfgang Thiel