Drei Monate arbeiten, drei Monate reisen

Drei Monate arbeiten, drei Monate reisen

Kampf um Fachkräfte: Rostocker Unimedizin bietet besondere Arbeitsmodelle für Pflegekräfte

Von Virginie Wolfram

Rostock. Vor ihrer Nachtschicht auf der Intensivstation der Chirurgie klopft Krankenschwester Gina Acksel an eine Bürotür im Universitätsklinikum Rostock. „Arbeite, wann du willst“, steht in großen Buchstaben an der Tür. Der Satz klingt angesichts der angespannten Personalsituation in vielen Krankenhäusern surreal, doch auf Gina Acksel trifft er zu.

„Ich schreibe meine Pläne etwa zwei Monate im Voraus selbst und bestimme so, wann ich arbeite und freihabe“, sagt die 29-Jährige, die eine Vollzeitstelle hat. Allerdings hat sie dafür keine feste Station wie andere Kollegen, sondern wechselt zwischen den Intensivstationen, hilft dort, wo sie gerade gebraucht wird.

Die Rostockerin gehört seit 2022 zum sogenannten Uniflex-Team des Krankenhauses. Hier sind die Pflegekräfte nach besonders flexiblen Jobmodellen angestellt. Einige machen nur Nacht- oder Spätdienste, andere kommen wochenlang gar nicht, weil sie einem intensiven Hobby nachgehen oder sich Studium oder Familie widmen. Vom Vollzeitmodell bis zu einer Schicht im Monat sei alles dabei, sagt Heidi Buchmann, Leiterin der Uniflex-Teams.

Eines der Modelle, mit dem das Krankenhaus aktiv um Fachkräfte wirbt, richtet sich an Reise-Fans. „Drei Monate arbeiten, drei Monate reisen“ heißt das plakativ.

Auch die Wahl-Rostockerin Gina Acksel liebt das Reisen. Die Liste der Ziele, die die Gesundheits- und Krankenpflegerin bereits besucht hat, ist lang. Neben den meisten Ländern in Europa hat sie bereits Destinationen im Orient und in Mittelamerika gesehen. Der ganz große Traum soll sich 2025 erfüllen: Dann will Gina Acksel als Backpackerin bis zu sechs Wochen Australien und Neuseeland bereisen.

Der normale Jahresurlaub würde ihren Reise-Rahmen sprengen. Im Uniflex-Team kann die 29-Jährige jedoch Wochen herausarbeiten. „Im Oktober habe ich 23 Tage gearbeitet, weil ich auf einem Langzeitkonto Stunden für diese Reisen anspare“, erklärt sie. Bis zu 200 Stunden darf sie im Jahr anhäufen – immerhin fast ein Monat freie Tage können auf diese Weise zusätzlich herausspringen. So konnte sie 2023 bereits die Kanaren, Schweden, Dänemark und Norwegen besuchen. Der Höhepunkt: Ende November war sie mit dem Kreuzfahrtschiff für 14 Tage in der Karibik, um die Sonne auf Aruba, Barbados, Curaçao und Co. zu genießen. „Ich liebe es einfach, auf dem Schiff unterwegs zu sein und jeden Morgen woanders aufzuwachen und in fremde Kulturen einzutauchen“, schwärmt sie. 2023 hat sie 44 Tage auf Reisen verbracht. Eine andere Kollegin war zwei Monate lang in Thailand.

Um auch Menschen mit zeitintensiven Hobbys oder dem Wunsch nach mehr Familienzeit halten oder zurückgewinnen zu können, hat das Rostocker Krankenhaus 2020 das Uniflex-Team gegründet. „Es ist ein Arbeitnehmer-Markt geworden und wir mussten schauen, dass wir attraktiver und flexibler werden“, sagt Heidi Buchmann.

Pflegevorstand Annett Laban spricht von einem Erfolgsmodell. Bis Ende des Jahres werden laut Unimedizin im Flexteam 150 Mitarbeiter beschäftigt sein. Gestartet sei das Projekt mit 20 Angestellten im August 2020. „Die meisten konnten wir von extern einstellen. Davon profitieren auch die Stationen mit festem Personal“, sagt Uniklinik-Sprecher Stefan Menzel. Denn insgesamt 73 Mitarbeiter hätten sich irgendwann für eine feste Station entschieden. Gina Acksel genießt hingegen die Freiheiten im Flexteam. Dass sie oft den Arbeitsort wechseln muss, stört sie nicht. Die Rostockerin fühlt sich auf allen vier Intensivstationen wohl. „Ich komme überall gut klar und es ist abwechslungsreicher, als wenn man immer auf derselben Station ist“, erklärt sie. Bei der Bezahlung gebe es keine Unterschiede zwischen dem Flex-Team und dem normalen Mitarbeiterstamm. Rund 40 Pflegekräfte des Flex-Teams studieren neben dem Job. Auf diesem Weg fand auch Gina Acksel nach Rostock, als sie zwei Jahre lang berufsbegleitend Management in der Pflege studierte. Vorher hat sie sieben Jahre lang in Neubrandenburg gearbeitet. Dort sei es zunehmend schwierig geworden, jede Woche Donnerstag und Freitag freizubekommen, um zu studieren.

Und wie oft bekommt Gina Acksel Anrufe, ob sie irgendwo einspringen kann? An den Plänen werde bei den Mitarbeitern im langfristigen Pool nicht gerüttelt, betont Heidi Buchmann. Dafür gebe es einen kurzfristigen Pool an Pflegekräften.

Aber einige Spielregeln gibt es auch für die langfristigen Kollegen: Zwei Wochenenden und unterschiedliche Schichten sollten im Plan immer dabei sein. „Je eingeschränkter die Mitarbeiter arbeiten, desto häufiger werden sie auf unterschiedlichen Stationen eingesetzt. Arbeitet jemand im Ein-Schichtsystem, ist es erforderlich, dass er oder sie mitunter täglich den Einsatzbereich wechselt, um Krankheitsausfälle zu kompensieren“, sagt Sprecher Menzel.

Und wie finden die festen Kollegen die Freiheiten des Flexteams? „Als das Modell anlief, musste viel Überzeugungsarbeit auf den Stationen geleistet werden“, sagt Heidi Buchmann. Inzwischen schätzten die meisten festen Kollegen die flexiblen Kräfte. Einige Flex-Mitarbeiter werden nun sogar zu mehreren Weihnachtsfeiern eingeladen.

Quellenangabe: Rostock vom 29.12.2023, Seite 19