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Das Hinken verlernen: Rostocker Wissenschaftler wollen Bewegung nach Knie-OP verbessern

29. September 2014

Annett Mau-Möller und Robert Jacksteit dokumentieren an einem Patienten mit neuem Kniegelenk die Fortschritte.

Bloß nicht schonen - Forscher wollen einen Teufelskreis durchbrechen. Das Erfolgsrezept sind kleine Kraftübungen. Teilnehmer für Studie gesucht.

Ganz ungewohnt – so fühlt sich ein künstliches Kniegelenk für Betroffene oft an. Es verspricht zwar eine Erleichterung und Schmerzfreiheit gegenüber dem Zustand vor der Operation. Doch müssen die Patienten sich erst mal an ihre Prothese gewöhnen und ihre Bewegungsmuster anpassen. Wissenschaftler der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universitätsmedizin Rostock wollen Patienten nach Knieendoprothesen-Operationen dabei helfen, wieder möglichst schnell die volle Kontrolle über ihre Bewegungen zu erhalten. Die Patienten sind nicht nur vor, sondern auch nach dem Einsatz eines künstlichen Kniegelenks von Kraft- und Funktionseinschränkungen betroffen. 

In den ersten vier Wochen nach der Operation nehmen die Muskelkraft und Gleichgewichtsfähigkeit am stärksten ab, wenn nicht bewegungstherapeutische Maßnahmen direkt im Anschluss an die OP stattfinden. In einer Studie überprüfen die Wissenschaftler, mit welchen Methoden die Leistungsfähigkeit am ehesten wiederhergestellt werden kann und welche Effekte verschiedene Bewegungstherapien in der Frührehabilitation haben.

„Bisher ist es üblich, dass die Patienten bereits während des Klinikaufenthalts täglich durch die Physiotherapeuten betreut werden und passiv mit einer Bewegungsschiene üben“, sagt Sportwissenschaftlerin Anett Mau-Möller, die die Studie vornehmlich betreut. „Das operierte Knie wird dazu in eine Motorschiene gelegt, die das Bein automatisch beugt und streckt. Der Patient muss eigentlich nichts machen, die Bewegung übernimmt das Gerät. Wir gehen davon aus, dass die Anwendung einer aktiven Bewegungsschiene für die Wiederherstellung des Bewegungsumfangs im Kniegelenk und den Erhalt der Muskelkraft von Nutzen ist.“

Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Direktor der Orthopädischen Universitätsklinik Rostock, drückt es ganz einfach aus: Der Bewegungsapparat wird wie von einem Computersystem gesteuert, das durch den zunehmenden Verschleiß im Kniegelenk falsch programmiert wird. Nach der OP müsse der Körper wieder ein normales Bewegungsmuster erlernen: „Die betroffenen Patienten haben zum Teil viele Jahre mit einem Hinken des Beins gelebt“, sagt er. Nach dem Eingriff sei die Wahrnehmung der Gelenke verändert. Fühlte sich das Knie zuvor wackelig an, empfinde der Patient das künstliche Gelenk als eher straff. Der Reflex: „Das Knie schonen, um sich langsam daran zu gewöhnen. So lernt der Patient aber nicht, normal zu laufen.“ Diesen Teufelskreis wollen die Rostocker Wissenschaftler durchbrechen: „Der Patient soll frühzeitig lernen, seine Bewegungen wieder selbst zu steuern. Er muss das Hinken verlernen“, so Mittelmeier.

Dafür werden die Patienten selbst aktiv und belasten das operierte Gelenk möglichst früh. „Wir haben spezielle Geräte im Einsatz“, erklärt Robert Jacksteit, der derzeit seine Doktorarbeit zu dem Thema schreibt. „Mit denen wird das Knie aktiv gefordert: Die Patienten beugen und strecken ihr Bein gegen Gewichte und vollziehen so kleine Kraftübungen.“ Dieses neue Therapiekonzept im Bereich der Knieendoprothetik setzt bereits am zweiten Tag nach der OP ein und fordert den Patienten. „Nur wenn Muskeln gezielt aktiviert werden, tritt ein schneller Effekt ein“, sagt Jacksteit. „Den Rekord in unserem Übungsprogramm hält bisher ein 80-jähriger Studien-Teilnehmer: Nach seiner Operation schaffte er in einem Durchgang 200 Wiederholungen.“ Davon sollten sich Patienten motivieren lassen.

In Ergänzung zur normalen Physiotherapie soll die aktive Therapie in der Bewegungsschiene dazu führen, dass der Bewegungsumfang im Kniegelenk und die Muskelkraft schnellstmöglich wiederhergestellt werden. Dadurch soll es dem Patienten ermöglicht werden, frühzeitig wieder am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilzuhaben. Auch nach der Entlassung wird der Trainingserfolg anhand von Bewegungsmessungen dokumentiert und überprüft. Drei Monate später gibt es eine individuelle Rückmeldung der Wissenschaftler: Wie hat sich die Leistungsfähigkeit verändert? Welche Erfolge wurden bisher erzielt? „Die Patienten können die Entwicklung des Heilungsverlaufs somit nachvollziehen“, sagt Jacksteit. 

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Noch Teilnehmer für Studie gesucht

Die Orthopädie arbeitet seit Jahren erfolgreich mit dem Institut für Sportwissenschaft der Uni Rostock zusammen. Aus dieser Kooperation entstanden Forschungsprojekte und Veröffentlichungen. Die Studie zur aktiven und passiven Bewegungstherapie nach dem Einsetzen künstlicher Kniegelenke wird von der Deutschen Arthrose-Stiftung gefördert und ist bis März 2015 angelegt. Es werden noch Patienten mit bevorstehender Implantation ins Projekt aufgenommen. Die Studie läuft bis März 2015. Kontakt und Info: Tel.: 0381/ 494 9359