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Der Mensch hinter dem Präparat

19. November 2020
Prof. Kumbier, Dr. Begerock und Prof. Kipp stehen in der Sammlung

Prof. Dr. Ekkehardt Kumbier (l.), Dr. Anna-Maria Begerock und Prof. Dr. Dr. Markus Kipp in der Schausammlung des Anatomischen Instituts

Vitrinen

Vitrinen der Lehr- und Schausammlung im Institut für Anatomie

Arbeitsbereich Geschichte der Medizin und Institut für Anatomie der Unimedizin Rostock erforschen Schädelsammlung

Rostock - Ein bisschen Detektivarbeit ist sie schon, die Forschung der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Anna-Maria Begerock. Sie untersucht seit Mitte September, woher die umfangreiche Schädelsammlung des Instituts für Anatomie der Universitätsmedizin Rostock stammt.

Insgesamt 40 menschliche Schädel außereuropäischer Herkunft, 14 Gipsabgüsse, einen Keramikschädel sowie eine chilenische Mumie zeigen die teilweise öffentlichen Vitrinen in der Schausammlung. Begerock möchte herausfinden, wie und woher die Schädel in die Sammlung kamen. Dabei helfen Beschriftungen am Präparat selbst oder eventuelle Einträge im Inventarbuch. Manchmal muss Archäologin Begerock intensiv recherchieren. „Menschliche Überreste als Souvenir von wissenschaftlichen Reisen mitzubringen, war früher durchaus normal“, sagt sie. „Heute werden solche Sammlungen und ihr Zustandekommen erforscht. Wir interessieren uns bei der sogenannten Provenienzforschung für die Menschen hinter den Präparaten“, ergänzt Prof. Dr. Ekkehardt Kumbier vom Arbeitsbereich Geschichte der Medizin. Er wird die Ergebnisse der Nachforschungen und die ethischen Fragen auch in seine Lehrveranstaltungen für Studierende der Medizin integrieren.

Nach einer ersten Bestandsaufnahme wird Begerock auch Wissenschaftler aus der Anthropologie und Rechtsmedizin hinzuziehen. Gemeinsam soll mehr über jeden Verstorbenen herausgefunden werden: Woher stammte er, ist er an einer Krankheit oder Gewalteinwirkung gestorben, wurde er einst begraben? Begerocks großes Interesse gilt dabei auch der Frage, ob ein Teil der Sammlung aus ehemaligen Kolonialgebieten kommt und ob die Schädel unrechtmäßig erworben wurden. Im Ergebnis ihrer von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste geförderten Nachforschungen soll ein Dialog mit jenen Herkunftsgesellschaften entstehen, von denen die menschlichen Überreste nach Rostock gelangten. „Wir wollen gemeinsam über den Umgang mit ihren verstorbenen Ahnen in unserer Sammlung nachdenken und wie dieser gestaltet werden kann, aber auch ob eine Rückführung gewünscht ist. Ganz schön aufwendig, aber ethisch wichtig“, so Anna-Maria Begerock. Ihre Forschung und ein Workshop mit internationalen Experten soll zu einer Leitlinie im Umgang mit menschlichen Überresten in Universitätssammlungen führen. So könnten zumindest Teile der Sammlung weiterhin gezeigt werden, dann aber mit ergänzenden Informationen. Diese sollen dem Betrachter helfen, die Schädel in einen geschichtlichen, kulturellen und eben auch menschlichen Zusammenhang zu bringen.

„Die Schädelsammlung des Anatomischen Instituts ist nicht nur Teil einer Ausstellung, sondern dient auch der Lehre“, sagt Institutsdirektor Prof. Dr. Markus Kipp. Die Ausbildung von Anthropologen beispielsweise funktioniere nicht mit Plastiken, sondern nur am Original, ergänzt Begerock. Knochengewicht, Oberflächenbeschaffung, Lichtdurchlässigkeit, Zahnstatus und vieles mehr geben Auskunft über mögliche Krankheiten und Todesursachen. Würde man sich jedoch von dem Bestand trennen, wäre die Schädelsammlung als Lehrsammlung verloren. „Umso wichtiger ist der Austausch mit den betroffenen Nachkommen und auch mit den Kollegen, die auf die Arbeit mit solchen Präparaten angewiesen sind“, so Medizinethikexperte Kumbier.