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Hausziel beim Schlaganfall: 30 Minuten bis zur Therapie / Patienten-Infotag

06. May 2014

Auf Station N1, der Intensivstation und Stroke Unit (Schlaganfall-Einheit) der Klinik und Poliklinik für Neurologie in Rostock-Gehlsdorf, ist Susanne W. noch an mehrere bunte Schläuche angeschlossen. Aber sie lächelt. Und das, obwohl sie einen Schlaganfall hinter sich hat. „Etwas, das ganz weit weg ist und nur anderen passiert“, sagt sie. W. ist 52 Jahre alt und darf erleichtert sein: Sie wird wohl keine bleibenden Schäden davontragen. Nicht alle Patienten überstehen diese Zäsur so glimpflich wie die Rand-Rostockerin. Knapp 800 Schlaganfall-Patienten erreichen jedes Jahr die Schlaganfallspezialstation in der Gehlsdorfer Klinik der Universitätsmedizin Rostock. „Der Schlaganfall ist nicht nur die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Sondern auch die häufigste nicht-unfallbedingte Ursache für eine dauerhafte Behinderung“, sagt Oberarzt PD Dr. Matthias Wittstock. Der 10. Mai ist der bundesweite Tag gegen den Schlaganfall. Die Klinik für Neurologie wird dann von 10 bis 12 Uhr zu einer Info-Veranstaltung über Ursachen, Symptome und moderne Behandlung der akuten Funktionsstörung des Gehirns in die Zahnklinik laden. 

Eine gute Aufklärung über die Alarmzeichen sei elementar und könne den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Oft habe er den Satz gehört: Ich dachte, das geht schon wieder weg. Die ersten viereinhalb Stunden seien entscheidend für die Versorgung von Schlaganfällen. „Bis dahin ist die Therapie zugelassen“, so Dr. Wittstock. Etwa durch die Thrombolyse, bei der über die Vene ein Medikament gegen den Gefäßverschluss verabreicht wird, oder durch die Einführung eines Katheters, um ein Gefäß im Gehirn wieder zu öffnen. Schon mit jeder verstrichenen Minute ohne Behandlung nach der sogenannten „goldenen“ ersten Stunde steige die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient behindert bleibe.

Ein später Montagabend. Susanne W. steckt mitten in einer stressigen Phase. Sie muss eine wichtige Präsentation für den Job erstellen, raucht, ihr Kopf schmerzt. „Ich dachte, mir blüht eine Erkältung, und ging ins Bett“, erzählt die Mutter. „Ich war so müde und erschöpft, das sah mir gar nicht ähnlich.“ Ihr Mann kommt noch kurz mit dem Sohn vorbei. „Als ich die beiden drücken wollte, kam ich plötzlich nicht hoch“, schildert die 52-Jährige. Auch das Reden sei ihr schwergefallen. „Ich konnte nur noch rechts formulieren“, drückt sie es aus. Ihr Mann ist ein ehemaliger Krankenpfleger; ihn beschleicht nun eine grausige Ahnung. „Als ich auf die Toilette ging, bat er mich, Arme und Beine zu bewegen.“ Die rechten Gliedmaßen streiken, er ruft einen Rettungswagen. Den Weg zur Stroke Unit erlebt sie wie durch einen Schleier, aber bei Bewusstsein. Sie hat Todesangst. „Ich bin 52, mein Sohn braucht mich – ich sollte noch nicht das Licht im Tunnel sehen“, sagt Susanne W. heute in die Stille ihres Patientenzimmers.

„Die Erkennung des Notfalls durch die Rettungsdienste und der Transport zu einer Schlaganfall-Einheit laufen deutlich besser als früher“, berichtet Dr. Wittstock. „Noch in meiner Studienzeit bekamen die Patienten ein bisschen Aspirin und eine Infusion mit Plasmaverdünnern.“  Jetzt gebe es eine gute kausale Versorgung. Hausziel in der Rostocker Universitätsmedizin sei, „zwischen der Übergabe durch den Rettungsdienst und dem Therapiebeginn nicht mehr als 30 Minuten verstreichen zu lassen.“ Der klassische Betroffene? „Eher der Patient in der zweiten Lebenshälfte mit Bluthochdruck, Zucker oder Herzrhythmusstörungen. Jedoch auch der 44-jährige Fernfahrer, der am Tag zwei Schachteln Zigaretten qualmt und sich wenig bewegt.“ Auch jüngere Frauen, bei denen Pille und Rauchen eine heikle Kombination bildeten, seien durchaus keine Einzelfälle in der Ambulanz, die Erwachsene behandelt und als jüngsten Patienten tatsächlich schon einen 18-Jährigen aufnehmen musste, der einen Schlaganfall beim Sport erlitten hatte. Zehn bis 15 Prozent der Behandelten seien unter 45. Sehr selten, aber dennoch gebe es sogar betroffene Kinder. Grundsätzlich müssten bei jungen Patienten zusätzlich Einrisse der Gefäßwand, sogenannte Dissektionen, aber auch sehr seltene vererbte Stoffwechselstörungen als mögliche Ursache in Erwägung gezogen werden. 

Susanne W. nimmt den überstandenen Schlaganfall als harten Schuss vor den Bug. „Ich muss mich anders sortieren, weniger heftige Powerphasen einlegen“, glaubt sie gelernt zu haben. Noch laufen einige Tests. MRTs, ein CT, Röntgen- und Lungenuntersuchungen hat die Randrostockerin hinter sich. Die Ursache wird noch gesucht. Aber eines hat die 52-jährige Mutter sich fest vorgenommen für ihr Leben nach dem Schlaganfall: „Ich will unbedingt das Rauchen lassen.“

Termin: Info-Veranstaltung zum Tag gegen den Schlaganfall: 10. Mai, 10 bis 12 Uhr, Uni-Zahnklinik, Strempelstraße 13, Rostock

Info:

Der Schlaganfall ist eine plötzlich („schlagartig“) auftretende Gehirnerkrankung. Oft verursacht sie den Ausfall bestimmter Funktionen des zentralen Nervensystems. Die Blutversorgung des Gehirns wird gestört, es kommt zum Sauerstoffmangel – Gehirngewebe stirbt ab. Ursache können unter anderem Gefäßverschlüsse oder -risse, Thrombosen, Embolien oder genetische Ursachen sein. Kinder können, wenn auch sehr selten, ebenfalls einen Schlaganfall erleiden. Die beste Möglichkeit der Risikominimierung ist eine gesunde Lebensweise. Ein Risikofaktor: das Rauchen. Der Konsum von bis zu 20 Zigaretten pro Tag führe zu einem zweifachen Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, 40 Zigaretten zu einer Verneunfachung des Risikos.