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Mit Puppe Emma gegen sexuelle Übergriffe: Mädchen lernen Nein sagen

17. November 2015

Die Rostocker Leiter des Emma-Projekts: Psychologe Dr. Olaf Reis (v.l.), Psychologin Wencke Chodan – mit Puppe Emma – und Prof. Dr. Frank Häßler.

100 Mädchen mit geistiger Behinderung geschult / Erste Erfolge

Jedes vierte Mädchen mit geistiger Behinderung, so schätzt das Bundesfamilienministerium, erlebt vor seinem 18. Geburtstag sexuelle Übergriffe. Dem will das Projekt „Emma unantastbar!“ der Rostocker Unimedizin, des Heckscher Klinikums München und des Vereins Wildwasser München entgegenwirken. Die Spezialisten trainieren mit etwa 100 Mädchen, was zu tun ist, wenn das Gegenüber zu weit gehen will. Schon mit kleinen Erfolgen: In der ersten Auswertung zeigte sich jetzt, dass die Kinder gelernt haben, Grenzen zu setzen. Das Programm ist auf die Bedürfnisse von Mädchen mit leichter geistiger Behinderung im Alter von acht bis zwölf Jahren abgestimmt und umfasst zehn Sitzungen von jeweils 90 Minuten. Bisher haben sich elf Schulen in MV und Bayern beteiligt, an vier weiteren läuft das Projekt jetzt an. „Wir tasten uns langsam ans Thema sexueller Missbrauch heran“, sagt Wencke Chodan, Psychologin an der Rostocker Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Wir wollen niemanden bloßstellen oder überraschen.“ 

Immer mit dabei: Puppe Emma. Spielerisch lernen die Mädchen mit der Figur den Umgang mit unangenehmen Themen. „Wenn du findest, etwas fühlt sich nicht richtig an oder jemand will etwas Verbotenes machen, dann wehre dich“, bringt Emma den Kindern bei. Und betont das Entscheidende: „Erzähl anderen davon!“ Zum Einsatz kommen auch Videoclips, in denen Schauspieler Situationen andeuten, in denen sich ein sexueller Missbrauch anbahnt. „So lernen die Schülerinnen aktiv, wie sie gefährliche Situationen erkennen und was sie dagegen tun können“, sagt Chodan. Im Anschluss wird in Rollenspielen geübt, das Gelernte praktisch anzuwenden. 

„Nicht nur Wissen abzufragen, sondern theoretische Einheiten mit Rollenspielen zu verknüpfen, war für den Lernprozess und unsere Zielgruppe unerlässlich“, sagt Dr. Olaf Reis, Leiter der Abteilung Forschung der Rostocker Kinderpsychiatrie. „Um sich ausreichend zu schützen, sollten die Mädchen anderen von der Situation berichten und Hilfe holen“, so Reis. „Das machen noch zu wenige.“ Das Projekt sei trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, als Erfolg zu werten, sagt Klinikdirektor und Projektleiter Prof. Dr. Frank Häßler. Mit dem Training sei erstmals in Deutschland der Einfluss von Wissensvermittlung auf das Verhalten bei geistig behinderten Mädchen gemessen worden. „Wir konnten zeigen, dass wir nicht ausreichend vom Wissen auf das Verhalten schließen können.“ Prävention müsse deshalb weiter gehen und auch Eltern, Betreuer und gesellschaftliche Veränderungen einbeziehen. Das bestätigt auch die Münchener Psychologin und Emma-Trainerin Mascha Lenger: „Die Mädchen beteiligen sich mit viel Freude an den Trainings und mögen Emma. Es gab immer wieder Aha-Erlebnisse – das zeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist.“

Das Projekt „Emma unantastbar!“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und ist 2012 gestartet. Es läuft bis August 2016. Anschließend wird das Programm Fachkräften, die mit geistig behinderten Kindern arbeiten, als Anleitung zur Verfügung gestellt.