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Naturheilkunde: Seltene Professur an Universitätsmedizin verlängert

19. October 2016

Gegen Gelenkschmerzen: Prof. Dr. Karin Kraft platziert Blutegel auf dem Knie einer Patientin.

Ambulanz hat immer mehr Zulauf

Eine Professur für Naturheilkunde ist, im Gegensatz zum dazugehörigen Fachgebiet, noch ein Exot in Deutschland. Nur eine Handvoll lehrende Komplementärmediziner gibt es bundesweit an Hochschulen. Einer der Lehrstühle – und der einzige, den eine Frau innehat – gehört zur Unimedizin Rostock. Dort ist die Stiftungsprofessur für Prof. Dr. Karin Kraft nach einem Berufungsverfahren bis Ende 2017 verlängert worden.

In Deutschland sei bei der staatlichen Unterstützung der Erforschung der Naturheilkunde noch Luft nach oben, sagt Kraft. In anderen europäischen Ländern wie Rumänien oder der Schweiz gebe es staatliche Institute zur Erforschung der traditionellen Medizin Europas. Indien und China seien bekannt für ihre traditionelle Medizin; auch Südkorea unterstütze die Erforschung seiner traditionellen Medizin mit staatlichen Mitteln. In Deutschland hingegen tue sich im Hinblick auf eine öffentliche Förderung bisher kaum etwas. „Und das, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die staatliche Förderung der traditionellen Medizin in ein internationales Strategiepapier, das auch von Deutschland unterzeichnet wurde, aufgenommen hat“, so Kraft.

Die Hochschulambulanz der Professur für Naturheilkunde in Rostock wird immer öfter angesteuert. Die Beschwerden der Hilfesuchenden reichen von psychischen Problemen über Arzneimittelunverträglichkeiten bis zu Verdauungsbeschwerden. „Viele der Patienten haben mehrere Leiden, waren schon bei sehr vielen Ärzten und wünschen sich einen anderen Behandlungsansatz. Sie kommen teils mit umfangreichen Vorbefunden“, berichtet die Medizinerin.  

Naturheilverfahren würden in der Regel ergänzend zur Schulmedizin im Sinne der integrativen Medizin angewendet, sagt Kraft. „Sinnvolle schulmedizinische Konzepte müssen in jedem Fall fortgeführt werden, Naturheilverfahren sind keine Alternativmedizin.“

Sie sehe jedoch die Gefahr, dass naturheilkundliche Maßnahmen, die jeder ergreifen und die jedem helfen könnten, allmählich in Vergessenheit geraten. So hätten in den 1940-er Jahren noch Wadenwickel als Hausmittel gegen Fieber sowie die Hydrotherapie – Anwendungen von kaltem Wasser – in jedem schulmedizinischen Lehrbuch gestanden und seien ganz selbstverständlich auch in der stationären Behandlung verwendet worden. Aber einiges wird auch wiederentdeckt. Bei Arthrose – Gelenkverschleiß – werden Blutegel angesetzt. „Sie werden mittlerweile von Apotheken vorgehalten“, so Kraft. Hunderttausende Egel sind jährlich in Deutschland im medizinischen Einsatz. Ihre Wirksamkeit sei frappierend: „Studien zeigen, wie Schmerzen und Entzündungen nach einmaliger Anwendung zurückgehen, ohne dass größere Nebenwirkungen auftreten. Die Leute kommen wieder in Bewegung und die Knorpelregeneration damit in Gang.“

Vorteil der pflanzlichen Arzneimittel, die ebenfalls der Naturheilkunde zugeordnet werden, sei in Deutschland, dass sie die gleichen Kriterien hinsichtlich der Belege von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfüllten wie chemisch definierte Mittel. Aber es gebe einen Pferdefuß, so Kraft. „Pflanzliche Arzneimittel sind so nebenwirkungsarm, dass sie ohne Rezept erhältlich – und damit selbst zu bezahlen sind.“ Das erwecke bei einigen Leuten den falschen Eindruck, sie seien weniger oder nicht wirksam. Dass Nahrungsergänzungsmittel dagegen nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegen und dementsprechend Qualität, Wirksamkeit und Verträglichkeit kaum belegen müssen, ist den Verbrauchern kaum bekannt. Die staatlich geförderten Institute für traditionelle Medizin in anderen Ländern übernehmen neben einer diesbezüglichen Forschung auch die wichtige Aufgabe der Aufklärung. In den USA konnten so etliche Nahrungsergänzungsmittel mit schweren Nebenwirkungen rasch identifiziert und die Bevölkerung geschützt werden.  

Kraft beschäftigt sich seit einiger Zeit intensiv mit der Wirkung von Heilwäldern auf die Gesundheit von Patienten. Einige Heilwälder werden in MV bereits eingerichtet. Im Herbst startet eine kleine Studie mit einer Rehaklinik auf Usedom. „Wir untersuchen die Wirkung des Heilwalds auf Lungen-Patienten, bei denen die Atemwege chronisch verengt sind – COPD.“

Die Medizinerin ist auch die Präsidentin der Gesellschaft für Phytotherapie, die die Erforschung pflanzlicher Arzneimittel einschließlich ihrer Anwendung im Blick hat. 2013 ist diese als erste nicht konventionelle wissenschaftliche Fachgesellschaft in die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) aufgenommen worden. „Darauf sind wir stolz“, sagt Kraft. Nun könne man konstruktiv an medizinischen Leitlinien mitarbeiten und Qualität schaffen. Noch einen anderen Vorzug habe die Mitgliedschaft und damit ständige Präsenz: „Man kann unser Fachgebiet nicht mehr unter den Tisch fallen lassen.“

Kontakt: Prof. Dr. Karin Kraft, Lehrstuhl für Naturheilkunde, Unimedizin Rostock, Tel.: 0381 494 4713