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Rostocker Forscher zu kindlichem Kopfschmerz: Geplantes Nichtstun hilft

04. September 2014

Prof. Dr. Peter Kropp

Morgen ist Weltkopfschmerztag. Immer mehr Kinder leiden unter dem pochenden Schädel. Laut Psychologe Prof. Dr. Peter Kropp von der Unimedizin Rostock sollten Eltern ihren Kindern vor allem eines gönnen: Pausen.

Es hämmert, sticht und drückt – und das schon im Kindesalter. Kopfschmerzen bei Schulkindern sind heutzutage keine Seltenheit mehr. „In den letzten 20 Jahren ist der Anteil der Kinder, die regelmäßig über Kopfweh klagen, kontinuierlich angestiegen“, sagt Prof. Dr. Peter Kropp, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universitätsmedizin Rostock. „Rund 80 Prozent aller Kinder sind mittlerweile betroffen, Mädchen genauso häufig wie Jungen.“ Eine typische Migräne, wie sie bei Erwachsenen auftritt, sei jedoch eher selten. „Bei Erwachsenen äußert sich diese in Form von pulsierenden einseitigen Kopfschmerzen. Bei Kindern hingegen reichen die Symptome von beidseitigen Kopfschmerzen über Bauchweh und Schwindel bis hin zu Erbrechen. Wir sprechen daher eher von einem Vorläufer der Migräne.“

Einheitliche Richtlinien für Behandlung und Diagnose zu finden, gestalte sich kompliziert, so Kropp. Auch den Zeitpunkt der ersten Beschwerden könne man nur schwer bestimmen: „Kinder können Schmerzen in der Regel erst ab dem dritten Lebensjahr artikulieren. Oft sehen wir aber Babys, die sich kaum bewegen, und wissen nicht, warum. Dabei versuchen sie vielleicht einfach, wie Erwachsene auch, ihren Kopf still zu halten, um die Schmerzen nicht zu verschlimmern.“

Die Ursachen für den kindlichen Kopfschmerz sind nach Kropp vielfältig und daher kaum zu fassen. Eine finnische Forschungsgruppe habe allerdings einen Faktor identifiziert, der bei allen Betroffenen auftrete: Bewegungsmangel. „Statt in den Wald geht es heutzutage für viele junge Menschen vor die Playstation“, so Kropp. Hinzu komme, dass Kinder und Jugendliche heutzutage eine Menge zu tun hätten: „Schule, Reiten, Sport, Geige, Schach. Die Kleinen sind wahre Hans Dampfs.“ Dabei sollten Kinder vor allem eines beherrschen: die süße Kunst des Nichtstuns. „Das kindliche Gehirn ist besonders aufmerksam und will alles mitkriegen. Daher: Einfach mal gar nichts machen. Runterkommen. Entspannen. Das gönnt dem Gehirn eine Auszeit und kann Schmerzen deutlich reduzieren.“ Zwischen Aktivitäten und besonders nach der Schule empfiehlt der Experte immer wieder geplante Pausen. Auch am Morgen sei eine Extraportion Kurzschlaf für manche sinnvoll: „Viele Schüler schlafen vor Klausuren schlecht oder werden morgens durch den Wecker aus dem Tiefschlaf gerissen. Die Folge sind Kopfschmerzen. Die lassen sich deutlich reduzieren, wenn man noch einmal für eine Viertelstunde die Augen schließt.“

Wichtig sei auch: das Kind trotz Kopfwehs zur Schule schicken. „Sonst entsteht eine klassische Konditionierung“, erklärt Kropp. „Das kennen wir aus der Onkologie: Viele Patienten empfinden durch ihre Medikamente einen starken Brechreiz, wenn sie in die Klinik kommen. Irgendwann verbinden sie beides miteinander. Das kann so weit führen, dass sie schon würgen müssen, wenn sie nur ans Krankenhaus denken.“ Ähnlich sei es mit Kopfschmerz-Kindern und dem Schulbesuch – ein Ziehen in der Stirn beim Gedanken an die Penne. Also: „Das Kind auf jeden Fall zur Schule schicken. Das macht Sie noch lange nicht zu Rabeneltern. Wenn der Kopf aber nach zwei Stunden noch schmerzt, ab nach Hause.“

Migräne und kindliche Kopfschmerzen sind bis heute unheilbar. „Aber zu bewältigen“, sagt Kropp. Als Sprecher der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft hat er 2008 Therapieempfehlungen herausgegeben, die jüngst überarbeitet wurden. „Es ist interessant zu sehen, dass bei Kindern vor allem unkonventionelle Verfahren gut wirken“, bemerkt der Rostocker Forscher. Medikamente seien zwar hilfreich und könnten die Beschwerden vorübergehend um rund 50 Prozent mindern. „Es gibt aber auch Alternativen, auf die wir uns künftig verstärkt konzentrieren werden.“ Neben der Entwicklung neuer Medikamente wolle man mehr in die Psyche eindringen und sich auf die individuellen Situationen der Betroffenen einstellen. Dabei solle beispielsweise der Entspannungsbereich mit Meditationsstrategien und kognitiven Verhaltenstherapien ausgebaut werden. „Denn mit einer gründlichen und langfristigen Therapie ist vieles möglich“, ist Kropp überzeugt. „Aktuelle Studien zeigen, dass wir unseren Körper so weit beeinflussen können, dass wir zwar Schmerzen haben, sie uns aber nichts ausmachen. Wenn ich dann sage, mir tut nichts weh, glaubt mir das mein Gehirn.“