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Seltener Eingriff: Chirurg entfernt Speiseröhre ohne großen Schnitt

01. June 2015

Anja Lehmann mit ihrem Operateur Prof. Tung Yu Tsui. In der Reha wird sie nun wieder zu Kräften kommen.

In wenigen Kliniken in Deutschland wird die Entfernung einer krebsbefallenen Speiseröhre schon per „Schlüssellochchirurgie“ – mit einem optischen Instrument namens Endoskop – vorgenommen. An der Universitätsmedizin Rostock hat nun Prof. Dr. Tung Yu Tsui zum ersten Mal diesen Eingriff vorgenommen. Der Leiter der neu entstandenen Sektion Onkologische Chirurgie befreite auf diese Weise die Patientin Anja Lehmann von einem Tumor an der Speiseröhre.
Immer noch ist dafür die große offene Operation Standard: Der Bauch wird geöffnet, aus dem Magen wird ein Schlauch gebildet, der künftig als Ersatz für die Speiseröhre dienen soll. Damit das neue Gebilde platziert werden kann, wird auch der Brustraum aufgeschnitten. „Der Eingriff ist aufwendig, viele Komplikationen drohen“, sagt der Chirurg.
Bei der 45-Jährigen hingegen wählte er das komfortablere minimalinvasive Verfahren. Vorteile: Der Patient verliert weniger Blut, es gibt keine großen Narben und weniger Schmerzen. Das Immunsystem wird geschont, dadurch ist eine schnellere Erholung möglich. 
„Das operative Trauma ist insgesamt kleiner, und Frau Lehmann musste statt vier Wochen weniger als die Hälfte der Zeit in der Klinik verbringen“, resümiert Tsui. In einem sechsstündigen Eingriff entfernte er per Endoskop und Videotechnik die gesamte Speiseröhre seiner Patientin. Nötig waren dafür nur ein paar Einstichpunkte im Bauchraum, wo die Instrumente eingeführt wurden, und ein kleiner Schnitt seitlich am Brustkorb. Eine lokale Abtragung des befallenen Gewebes mit dem Endoskop sei bei Anja Lehmann nicht infrage gekommen, berichtet ihr Operateur. „Der Tumor lag sehr weit in der Tiefe.“ Blieb nur die komplette Entfernung der Speiseröhre und der umgebenden Lymphknoten.
Dass sie Krebs hat, erfuhr Lehmann durch Zufall. Sie litt unter Schmerzen in Bauch und Brust, ihre Hausärztin ordnete eine Magenspiegelung an – dabei wurde der Tumor entdeckt. So konnte die 45-Jährige schon im frühen Krebsstadium in die Rostocker Klinik überwiesen werden.
Da ein großer Teil ihres Magens als umfunktionierte Speiseröhre verloren ging, muss sich die lebenslustige Frau jetzt mit vielen kleinen Mahlzeiten am Tag anfreunden. Wie nach einer extremen Magenverkleinerung. Anja Lehmann ist schnell satt. Am liebsten isst sie Reis, Rührei, Quark. Hochkalorisch darf es ruhig sein. „Ich muss wieder zu Kräften kommen“, sagt sie und lacht.
Die Frage nach dem Ausmaß eines Eingriffes ist nicht nur bei der Entfernung einer Speiseröhre ein entscheidender Aspektfür Prof. Tsui. „Lässt man den Tumor drin, um ihn unter Kontrolle zu haben, oder soll er raus und wir nehmen ein OP-Trauma für den Patienten in Kauf – vor dieser Frage stehen Mediziner immer wieder.“ Fest stehe, dass auch in Rostock der Trend seit Jahren zu organschonenden Operationen gehe. „Wir wollen mehr Präzision und weniger Trauma“, sagt der Chirurg.
In Amerika werde die minimalinvasive Entfernung etwa von Speiseröhren bereits mit Unterstützung von Robotern vorgenommen. Allzu schnell werde diese Entwicklung aber nicht nach Europa schwappen, nimmt Tsui an. „Erst die nächste Mediziner-Generation wird mit solchen Methoden in Berührung kommen.“ Besonders in seinem Fach sei der Fortschritt enorm. „Chirurgen müssen immer den Anschluss halten und innovativ bleiben.“

Kontakt: Prof. Dr. Tung Yu Tsui, Leiter der Sektion Onkologische Chirurgie, Universitätsmedizin Rostock, Tel.: 0381/ 494 6004