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Universitätsmedizin erinnert an Opfer von „Euthanasie“ und Zwangssterilisation

27. January 2015

Ärzte der Universitätsmedizin legten am Mahnmal des Gehlsdorfer Zentrums für Nervenheilkunde Blumenkränze ab.

Flaggen auf Halbmast: Mehr als 70 Menschen haben sich am Dienstagmorgen (27.1.2015) im Gehlsdorfer Zentrum für Nervenheilkunde eines der dunkelsten Kapitel der Medizingeschichte ins Bewusstsein gerufen: Zwischen 1940 und 1945 sind im Rahmen der nationalsozialistischen „Euthanasie" kranke und behinderte Menschen abtransportiert und getötet worden – auch aus der Rostocker Nervenklinik. "Unabhängig von der psychiatrischen Diagnose ging es dem mörderischen Regime damals nur um die Frage, ob jemand noch arbeitsfähig und damit ,nützlich‘ für die Gesellschaft war“, sagte Prof. Dr. Dr. Johannes Thome, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie bei der Gedenkveranstaltung mit anschließender Kranzniederlegung am Mahnmal. Patienten mit Schizophrenie und Epilepsie, Taube und Blinde wurden ebenso zwangssterilisiert und ermordet wie sogenannte „schwer erziehbare“ Kinder oder Alkoholabhängige. Einer menschenverachtenden biologistischen Ideologie folgend sollten als erblich bedingt angesehene Krankheiten nicht auf nachfolgende Generationen übertragen werden. Die Auslöschung der aus Sicht der Nazis „unwerten“ Leben sollte Kosten sparen – und in den Kliniken Platz für verletzte Soldaten schaffen. 

"In Gehlsdorf selbst sind keine Kranken getötet worden", stellte Dr. Ekkehardt Kumbier klar. Er ist Arzt in der Psychiatrie und hat mit der Historikerin Dr. Kathleen Haack die Geschehnisse in Rostock erforscht. Ein schwieriges Unterfangen; die Ausbeute an Dokumenten war dürftig. „Die Krankenakten aus dieser Zeit sind vernichtet worden“, so  Kumbier. Aber Unterlagen, die nach 1989 im Archiv der Staatssicherheit der DDR gefunden wurden, belegten: "Patienten aus Rostock sind mit Bussen in die Zwischenstation Uchtspringe in der Altmark verlegt worden. Viele von ihnen wurden umgebracht."

Bei der Gedenkveranstaltung gaben Ärzte der Psychiatrie einigen der Opfer ihre Individualität zurück: Sie verlasen Krankenakten und Briefe aus den 40er Jahren. Darin ging es etwa um das Schicksal von Margarethe T., der Schizophrenie bescheinigt worden war und die verzweifelt in Briefen an ihren Vormund beklagte, sich alleingelassen zu fühlen. Sie wurde am Ende vergast. Oder Friedrich K., der sechsjährig erstmals in Rostock untersucht wurde. Diagnose: „angeborener Schwachsinn“. 1941 musste auch er sterben.

Es gilt mittlerweile als sicher, dass mindestens 400 Patienten aus psychiatrischen Kliniken in MV Opfer der „Euthanasie“ wurden. Im September 1941 wurden 23 Patienten aus Rostock abtransportiert. Nur zwei von ihnen überlebten.

Das Mahnmal in Gehlsdorf, 2009 eingeweiht, soll die Erinnerung an die systematische Zwangssterilisation und Tötung seelisch kranker oder geistig behinderter Menschen wach halten. „Das Vergessen der Vernichtung ist ein Teil der Vernichtung selbst“, mahnte Kumbier. Prof. Dr. Christian Schmidt, Ärztlicher Vorstand der Universitätsmedizin, bekundete, es sei entsetzlich, dass heute wieder Menschen gegen andere auf die Straße gingen – „und darunter teilweise auch Ärzte mitmarschieren“. Freunde aus dem Ausland hätten ihn gefragt, wie die Deutschen bei ihrer Vergangenheit so etwas tun könnten.